Vier "magische Monate" - die mexikanische Studentenbewegung
Das mexikanische '68 ist ein kurzer, heftiger Sommer der Rebellion. Die ersten Auseinandersetzungen explodieren Ende Juli, als zwei Demonstrationszüge von der Polizei brutal auseinander getrieben werden. Es kommt zu Straßenkämpfen, die Studierenden protestieren gegen die Polizeigewalt. Wenige Tage später werden einige Hochschulen im Stadtzentrum vom Militär besetzt, tausend Studierende werden festgenommen, einige Hundert verletzt. Am 1. August kommt es zum ersten großen Protestmarsch gegen das Vorgehen der Armee, der sogar vom Universitätsrektor Javier Barros Sierra angeführt wird – eine Besonderheit der mexikanischen Studentenbewegung. Die Studierenden treten in den Streik und wählen einen nationalen Streikrat (Consejo Nacional de Huelga, CNH) – neu in der autoritären politischen Kultur ist vor allem die Basisdemokratie auf der Vollversammlung. Anfang August befinden sich bereits siebzig Universitäten und Hochschulen im Streik. An vielen Instituten entstehen studentische Brigaden, die der Bevölkerung Sinn und Ziel des Streikes näher bringen sollen. Angesichts der blindwütigen Repression schwellen die studentischen Proteste binnen weniger Wochen zu einer Massenbewegung an. Dabei werden die streikenden Studierenden, so schrieb später der Dichter Octavio Paz, „zu Sprechern des Volkes: nicht der einen oder anderen Klasse, sondern des allgemeinen Bewusstseins”. Und der Krimiautor Paco Ignacio Taibo II erinnert staunend: „Wir waren eine Studentenbewegung, die keine einzige studentische Forderung erhob”. Dabei geht es so gut wie nie um gewaltsamen Umsturz. In einem Sechspunkte-Katalog (pliego petitorio) verlangt man die Freilassung der „politischen Gefangenen” und einen „öffentlichen Dialog” mit dem Staatschef. Zwar sind auch die mexikanischen Studierenden von der blühenden Gegenkultur der Sechzigerjahre, La Onda genannt, geprägt. In erster Linie aber wenden sie sich gegen den politischen Autoritarismus im PRI-Staat und die Polizeigewalt und treten für Meinungsfreiheit ein. Der Präsident und die ihm ergebenen Medien sehen jedoch ausländische Agitatoren und kommunistische Verschwörer am Werk. Jede Unruhe auf den Straßen ist im Angesicht der Olympiade ein Störfaktor, die Demonstrierenden werden weiterhin mit einer bis dahin nie gesehenen Härte attackiert. Höhepunkt der Mobilisierung ist ein gigantischer Schweigemarsch, bei dem fast eine halbe Million Menschen mit Fackeln in das Stadtzentrum ziehen. Wenige Tage später lässt der Präsident den Campus der besetzten Nationaluniversität von der Armee räumen. Die Zeichen stehen auf Sturm. Am 2. Oktober 1968 bricht er aus.
Anne Huffschmid / Mareike Lühring / Sherin Abu-Chouka