Leila Diniz - "Feministin" im Bikini
Die Fantasie an die Macht!
Forderung der 68er StudentInnen
Die Freude an die Macht!
Abwandlung von Leila Diniz
Leila Diniz, die „Muse von Ipanema“, Verteidigerin der freien Liebe und des sexuellen Vergnügens, gilt als das Symbol der feministischen Revolution in Brasilien. Die 1945 geborene Kindergärtnerin aus Niterói, einem Vorort von Rio de Janeiro, lernte mit 16 Jahren den Schauspieler und Regisseur Domingos de Oliveira kennen, ihre erste große Liebe. Sie begann als Schauspielerin zu arbeiten – zuerst am Theater, später in Telenovelas und Kinofilmen. Mit dem Film Todas as mulheres do mundo (1967), in dem sie nackt zu sehen ist, gelang ihr der Durchbruch. Noch im selben Jahr teilte die empörte Drehbuchautorin Janete Clair der Fernsehanstalt TV Globo mit: „In den nächsten Telenovelas gibt es keine Rolle mehr für eine Prostituierte“ – und der Fernsehsender verlängerte seinen Vertrag mit der Schauspielerin nicht.
Leila Diniz wurde zur Ikone der „neuen Brasilianerin“. Noch während der härtesten Phase der Militärdiktatur begehrte sie gegen Tabus auf und wurde dafür von der machistisch geprägten Gesellschaft angefeindet – und zugleich beneidet. Trotz ihrer Jugend vertrat sie stets ihre eigene Meinung und sprach über ihr Privatleben ohne Scham oder Verlegenheit. Sie lebte ein ganz und gar öffentliches Leben und schockierte das Land in Interviews mit freizügigen Aussagen wie „Transo de manhã, de tarde e de noite“ (Ich habe morgens, mittags und abends Sex). Dieser Satz und zahlreiche ähnliche Aussagen aus ihrem wohl bekanntesten Interview in der Zeitschrift O Pasquim wurden 1969 zum Anlass für die Pressezensur vor Veröffentlichung, die auch als „Decreto Leila Diniz“ bekannt wurde. In dem Gespräch mit der linken Zeitschrift sprach sie äußerst offen über ihre Ansichten zum Leben und zur Liebe: „Man kann einen Menschen sehr lieben und trotzdem mit einem anderen ins Bett gehen. Das ist mir auch schon passiert.“ (64) Derlei Sätze verstießen nach Ansicht der Behörden gegen die „guten Sitten“ und mussten daher mit – insgesamt 72 – Sternchen geschwärzt werden. Die Comic-Maus Sig, das Maskottchen von O Pasquim, kommentierte in einer Sprechblase neben dem Interview: „Jedes Schimpfwort, das aus dem rosigen Mund der schönen Leila kam, wurde durch ein Sternchen ersetzt. Deshalb sieht ihr Interview aus wie die Milchstraße.“ (65)
Während einer finanziellen Flaute im Dezember 1969 entschloss sich Leila an der Fernsehshow Quem Tem Medo da Verdade (Wer hat Angst vor der Wahrheit) teilzunehmen, da man dafür umgehend ein Honorar in bar erhielt. In der ersten sensationslüsternen Show des brasilianischen Fernsehens wurden berühmte Personen über ihr Privatleben befragt und von einer Jury, die die „guten Bürger“ repräsentierte, nach den Maßstäben der herrschenden Moral be- bzw. verurteilt. Auf die erste Frage, was ihr größter Lebenswunsch sei, antwortete Leila: „Ich möchte Mutter werden.“ Worauf die Jury entgegnete: „Diese Frau mit ihrem obszönen Vokabular ist praktisch eine Prostituierte, wie kann sie von etwas so Edlem träumen, wie Mutter zu sein?“ In diesem Stil verlief auch der Rest der Show und Leila begann, vor der Kamera zu weinen. Woraufhin sie ein Jury-Mitglied barsch zurechtwies: „Das nützt dir nichts. Diese Schauspieltricks funktionieren hier nicht.“ Später erinnerte sich Leila Diniz: „Das war das Schlimmste, was ich in meiner Karriere gemacht habe und die Leute erinnern mich bis heute daran. Sie fragten mich, ob ich zu Hause meine Mutter schlage. Meine Mama schämte sich bis auf die Knochen. Aber ich brauchte das Geld, um meine Rechnungen zu bezahlen.“ (66) Danach wurde ihr Leben zum Spießrutenlauf – Leila magerte ab, arbeitete ein halbes Jahr lang gar nicht und begab sich in Therapie.
Dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – saß sie ein Jahr nach dieser Demütigung selbst in der Jury von Quem Tem Medo da Verdade, nun moderiert von Flávio Cavalcanti, der selbst politisch äußerst rechts stand. Dennoch half er Leila, als zwei Agenten des Departamento de Ordem Política e Social (DOPS) während einer Live-Sendung im Januar 1971 das Studio betraten, um sie nach Ende der Show festzunehmen. Denn seit dem Interview in O Pasquim und dem Erlass des „Leila-Diniz-Gesetzes“ war die Schauspielerin dem Regime ein Dorn im Auge. Sie wurde bezichtigt, die traditionellen brasilianischen Familienverhältnisse zu zerstören, die Rolle der Frau zu untergraben, die öffentliche Moral zu schädigen – und damit Tür und Tor für den Einfall der kommunistischen Gueriller@s zu öffnen. Feministin zu sein galt als eine Form, links zu sein – deshalb erklärten die Militärs auch sie zu ihrer Feindin.
Doch zurück zum Fernsehstudio: Flávio Cavalcanti war von den Militärs aufgefordert worden, Leila aus der Show zu entlassen, was er ablehnte. Als nun die Polizisten das Studio betraten, machte er eine Werbepause und besprach sich mit der Verfolgten. Nach der Werbung fragte Leila, ob sie kurz auf die Toilette dürfe. Cavalcanti schätzte die Polizisten so ein, dass sie die Schauspielerin nicht vor laufenden Kameras festnehmen würden. So überließ sie hinter den Kulissen ihr eigenes Kleid ihrer Assistentin, die mit dem Auto zu ihrer Wohnung fuhr – die Polizisten hinterher. Leila hatte sich unterdessen mit den Sachen einer Schaufensterpuppe eingekleidet und fuhr in einem Wagen zu dem Haus, in dem der Moderator wohnte. Dort tauchte sie für einen Monat unter. Um das Rätsel der Schauspielerin, die auf die Toilette ging und danach verschwunden war, für die Öffentlichkeit aufzulösen, wurden Urlaubsbilder mit Leila inszeniert. Nach einer Unterredung mit dem ultrakonservativen Justizminister musste Leila eine Selbstverpflichtung unterschreiben, in der Öffentlichkeit künftig keine moralisch bedenklichen Statements mehr von sich zu geben – und der Haftbefehl wurde aufgehoben.
Ein erneuter Aufschrei ging jedoch durchs Land, als sich Leila im Sommer 1971 hochschwanger im Bikini am Strand zeigte – werdende Mütter galten damals noch als asexuelle Wesen, die auch am Strand ihren Bauch stets verhüllen mussten. Die Tatsache, dass sie schwanger und obendrein noch nicht verheiratet war, machte den Skandal für die Konservativen perfekt. Leila Diniz starb im Jahr danach auf dem Rückweg von einem australischen Filmfestival bei einem Flugzeugunglück nahe Neu Delhi mit gerade einmal 27 Jahren.
Katharina Seeger