Marta Harnecker - Unermüdliche intellektuelle "Guerillera"
Marta Harnecker raucht nicht und trinkt keinen Kaffee, sie lackiert sich auch nicht die Nägel und trägt keinen Lippenstift. Sie ist 73 Jahre alt, und die einzige Frau, die dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez heute so nahe steht. Die gebürtige Chilenin ist eine der von Chávez ausgewählten Intellektuellen, die den Aufbau und die Weiterentwicklung des „Sozialismus des 21. Jahrhunders“ in Venezuela evaluieren. Doch ist die marxistische Publizistin Marta Harnecker als eine der bis heute einflussreichsten 68er-Figuren nicht nur in Venezuela, sondern in ganz Lateinamerika von Bedeutung. Sie hat zahlreiche Standardwerke der politischen Bildung verfasst, wie etwa die berühmte „Einführung in die Elementaren Begriffe des historischen Materialismus“ (1969), die in verschiedenen Ausgaben auf dem ganzen Kontinent erschienen ist. Das Werk wurde zu einem der meist gelesenen Texte zu diesem Thema und das Lieblingsbuch aller jungen Menschen, die sich an der Revolution beteiligen wollten.
Marta Harnecker ist die Tochter österreichischer Einwanderer. Sie selbst sagt, ihr Vater sei ein erfolgreicher „kapitalistischer Ingenieur“ und ihre Mutter Hausfrau gewesen. Harnecker studierte Soziologie an der Universidad Católica. Sie besuchte 1960 als Studentin Kuba und erlebte die Kubanische Revolution aus nächster Nähe. Zu dieser Zeit war sie noch überzeugte Katholikin und ging fast täglich in die Kirche. Aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der „Katholischen Aktion“ (Acción Católica), einer kirchlichen Laienorganisation, konnte sie sich jedoch nicht stärker in der Kubanischen Revolution engagieren. So begann sie, sich von der Acción Católica zu distanzieren.
In ihrer Studienzeit verliebte sie sich in Rodrigo Ambrosio, der später zu einem der Gründer der Movimiento de Acción Popular Unitaria (MAPU) wurde, einer kleinen linken Partei in Chile. (Dieser reiste später nach Kuba und bat Fidel Castro um Waffen für die bedrohte chilenische Revolution.) 1962 ging Marta Harnecker mit dem damals noch Studierenden Ambrosio nach Paris. Dort wendete sie sich endgültig vom katholischen Glauben ab, inspiriert vor allem von ihrem Tutor, dem marxistischen Philosphen Louis Althusser, und wendete sich dem wissenschaftlichen Sozialismus zu.
Im Jahre 1968 kehrte sie nach Chile zurück und begann sich dort während der Allende-Regierung für die Sozialistische Partei (Partido Socialista) zu engagieren. Sie war Herausgeberin der linken Zeitschrift Chile Hoy und Professorin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universidad Católica. Ihre Cuadernos de Educación Popular, ein Kompendium von wichtigen Dokumenten für die Volksbildung unter der Allende-Regierung, kennen alle, und ihre Vorlesungen besuchten viele bekannte Persönlichkeiten, darunter die ehemalige Medizinstudentin und heutige Präsidentin Chiles, Michele Bachelet, oder andere ehemalige Studenten wie Minister Jaime Estévez und Nicolás Eyzaguirre. Ein ehemaliger Kommilitone von Eyzaguirre erinnert sich sehr deutlich an einen Ausspruch kurz vor dem Militärputsch, bei einem Treffen der Izquierda Cristiana: „Nachdem ich die Texte von Marta Harnecker gelesen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass man sich, um eine Revolution zu machen, in einer Arbeiterpartei engagieren muss.“ (25) Und er wurde Mitglied der Juventudes Comunistas.
Ein anderer Student von Harnecker war Sebastían Edwards, bekannt als Ökonom und „linker Chicago Boy“, der bei Milton Friedman in die Lehre ging. Dieser ist etwas kritischer und macht seiner ehemaligen Lehrerin keine Komplimente: „Wir haben den Marxismus mit einem Lehrbuch für Idioten gelernt und es war das Handbuch von Marta Harnecker.“ (26)
Nach dem Militärputsch unter Augusto Pinochet ging sie ins Exil nach Kuba und schloss sich dort einer Gruppe von chilenischen Exilanten an. Während der Feier des 26. Juli im Hotel Habana Libre traf sie den Guerillero Manuel „Barbarroja“ Piñeiro, der mit Fidel Castro in der Sierra Maestra gekämpft hatte und später zu den wichtigsten Personen des kubanischen Geheimdienstes zählte. Die beiden heirateten und bekamen ihre Tochter Camila; diese forscht heute, nach einem Studium an der University of California, Berkeley, über die Auswirkungen der partizipativen Demokratie auf die kommunale Entwicklung in Venezuela. In Kuba schrieb Marta Harnecker Bücher und war auf soziale und Arbeiterbewegungen in ganz Lateinamerika spezialisiert. Ihre Beziehung mit Castro hat nie zu einer engen Freundschaft geführt, trotz der starken Verbindung ihres Mannes mit dem kubanischen Anführer. Sie bekamen Besuch von vielen politischen Persönlichkeiten, wie dem brasilianischen Präsident Lula oder dem Präsidenten Uruguays, Tabaré Vázquez, und natürlich Fidel Castro selbst. 1998 starb Piñeiro bei einem Autounfall in Havanna. Seither verbringt Marta Harnecker weniger Zeit auf Kuba und lebt zwischen zwei Welten: dem Arauco Hilton Hotel in Venezuela, wo sie als Beraterin Chávez’ tätig ist, und Kanada, der Heimat ihres zweiten Ehemannes, des linken kanadischen Intellektuellen Michael Lebowitz.
Gintarė Malinauskaitė