Bericht und Photos der Amazonien Exkursion nach Kolumbien (Tabatinga/Leticia), 06.-19. März 2016
Die Exkursion nach Leticia, Kolumbien, in die Region der “tres fronteras / tres fronteirasˮ (Kolumbien, Brasilien, Peru) wurde vom 06.‒19. März 2016 mit 11 TeilnehmerInnen aus dem Lateinamerika-Institut (LAI), darunter fünf Studierende des Masterstudiengangs Interdisziplinäre Lateinamerika-Studien, drei DoktorandInnen und drei PostdoktorandInnen aus dem Bereich der Literatur-/Kulturwissenschaft und der Politologie durchgeführt. Die Planung, Organisation und Leitung erfolgte durch Prof. Dr. Marianne Braig (Politikwissenschaft) und Prof. Dr. Susanne Klengel (Literaturen und Kulturen Lateinamerikas) vom LAI in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Juan Álvaro Echeverri (Anthropologie) von der Universidad Nacional de Colombia, Sitz Leticia, der von März bis Dezember 2015 als Alexander von Humboldt-Preisträger am LAI forschte. Viele weitere Kolleginnen und Kollegen in Bogotá und in der Doppelstadt Leticia/Tabatinga waren darüber hinaus bei der Planung unterstützend tätig. Die Exkursion wurde aus Mitteln des LAI und durch Eigenmittel der Teilnehmenden finanziert.
Bei der Langen Nacht der Wissenschaften am 11. Juni 2016 wurde die Exkursion in einer Fotoausstellung dokumentiert; drei Forschungsprojekte wurden außerdem in Vorträgen vorgestellt, ein weiterer Vortrag über die Naturforscherin Maria Sibylla Merian ergänzte das Programm (Vortragsposter). In dem temporär errichteten Buchladen “Freddy’s Bookshopˮ wurden ‒ als Hommage an den ungewöhnlichen Buchladen des Hochschullehrers und Buchhändlers Fred Spinoza in den Markthallen von Tabatinga ‒ die während der Exkursion erworbenen Publikationen und weitere Materialien präsentiert. Die Fotoausstellung wird ab Oktober 2016 im Raum 201 des Lateinamerika-Instituts gezeigt.
Die Exkursionsvorbereitungen begannen im Sommersemester 2015 mit einem Projektseminar innerhalb eines Wahlmoduls (“Amazonien transregional: Politik, Kultur, Gesellschaftˮ). Im Wintersemester 2015/16 erfolgte eine thematisch fokussierte Projektplanung und praktische Vorbereitung der ExkursionsteilnehmerInnen in dem Praxisseminar “Transregionale Lebenswelten und Kulturräume Amazoniensˮ. An mehreren Sitzungen beider Lehrveranstaltungen wirkte auch Prof. Echeverri mit und half als ausgewiesener Experte für die Region sowohl historische, kulturelle als auch lebensweltliche Kontexte zu vertiefen. Die Studierenden bereiteten sich mit Hilfe von einschlägigen Seminartexten, Gastvorträgen, Diskussionen und Referaten vor. Auch der Besuch des mit Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung und des Ibero-Amerikanischen Instituts veranstalteten Internationalen Kolloquiums zum Thema Cosmologías, Canastos, Poéticas. Entrelazamientos entre antropología y literatura war Teil der Vorbereitung (OrganisatorInnen: Prof. Dr. Susanne Klengel, Prof. Dr. Juan Álvaro Echeverri und Dr. Barbara Göbel, Direktorin des Ibero-Amerikanischen Instituts)
Die vom 6.‒19. März durchgeführte Exkursion beschäftigte sich mit verschiedenen Aspekten der transnationalen Kulturen Amazoniens in der Dreiländerregion des sogenannten “trapecio amazónicoˮ bzw. “trapecio de Leticiaˮ. Die Projekte umfassten politische Themen wie die aktuellen transkontinentalen Planungen zur lateinamerikanischen Integration, Fragen des transnationalen Warenverkehrs in Verbindung mit Staatlichkeit sowie kulturwissenschaftliche und anthropologische Fragestellungen zur “memoria indígenaˮ, zur indigenen Kinderliteratur in der brasilianischen Bildungspolitik und ihrer Umsetzung im Grenzraum von Tabatinga, Repräsentationen Amazoniens in der aktuellen kolumbianischen Literatur, oder die Herstellung und Vermarktung des immer begehrteren Naturprodukts Açai. Das erkenntnistheoretische Ziel der Exkursion bestand im Wesentlichen darin, in der amazonischen Grenzstadt Leticia/Tabatinga über globale Prozesse und Verflechtungen anhand ihrer vielschichtigen lokalen Dynamiken und Kristallisationen zu reflektierten.
Der Großraum der Grenz- und Doppelstadt Leticia/Tabatinga, in der die Gruppe zwei Wochen lang forschte und Expertengespräche führte, erwies sich dabei als außerordentlich produktives und dynamisches “Laboratoriumˮ für die sehr unterschiedlichen Projekte. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass die Arbeit an diesem ex-zentrischen Standort in Amazonien, den man als ein privilegiertes Observatorium der globalen Welt betrachten kann, zum Überdenken vieler vermeintlich klarer Annahmen und Meinungen führte. Durch die konkreten Begegnungen und Gespräche vor Ort, innerhalb und außerhalb der offiziellen Institutionen, musste manche Projektidee justiert werden. Bei ihrer Auseinandersetzung mit diesem Raum der weitgehend offenen Grenzen wurde sich die Gruppe der Notwendigkeit bewusst, durch vielschichtige Interaktion ihre Forschungstätigkeit nachhaltig zu reflektieren.
Im Einzelnen sah das Exkursionsprogramm eine Vielzahl von Begegnung vor: Am ersten Tag in Bogotá besuchte die Gruppe die Stiftung Tropenbos und das Museo Nacional de Colombia. Das anschließende akademische Programm in Leticia zeichnete sich durch einen intensiven Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen sowie mit einzelnen Studierenden und DoktorandInnen der Universidad Nacional aus. Zu Beginn und am Ende des Aufenthalts fanden intensive Diskussionsrunden statt. Die Gruppe hatte die Gelegenheit, in der Universitätsbibliothek zu arbeiten und eine Vielzahl der Experten aus der Geschichtswissenschaft, Anthropologie, den Gender Studies, Soziologie und Kulturwissenschaften zu treffen. Dies gilt ebenso für die Besuche an den brasilianischen Universitäten in der Nachbarstadt Tabatinga (Universidade do Estado do Amazonas) und in Benjamin Constant (Universidade Federal do Amazonas).
Weitere Gespräche fanden u.a. in der Alcaldía, der Gobernación, im Instituto Sinchi (Investigación científica para la Amazonia de Colombia) und weiteren Institutionen statt. Zwei Exkursionen führten die Gruppe in die umliegenden indigenen Gemeinschaften, wo durch Prof. Echeverri vermittelt eine Vielzahl von Gesprächen mit den Vorständen der verschiedenen “comunidadesˮ geführt werden konnten. So erfuhr die Gruppe z.B. genauere Details über die Ideen einer weiterführenden Bildungspolitik für die indigenen Gemeinschaften (z.B. in Macedonia), aber auch in der urbanen indigenen “comunidadˮ Leticias selbst, deren Zentrum sich in der urbanen “malocaˮ (Versammlungshaus) befindet. Diese Gespräche gaben Einblick in die Lebensverhältnisse, in soziale Anliegen und in die Zukunftsplanungen der indigenen Bevölkerung der Region.
Insgesamt waren die persönlichen Begegnungen, die Inhalte, die interkulturellen Erfahrungen und Lernprozesse während der Exkursion ebenso wie die gruppeninterne Interaktion und Reflexion eine wichtige Bereicherung und Inspiration für alle Beteiligten, welche zu neuen Erkenntnissen und Forschungsergebnissen bei den Masterarbeiten, bei den Projekten und in der Eröffnung von Kooperationsmöglichkeiten geführt haben.
Die TeilnehmerInnen danken den Kolleginnen und Kollegen der Universidad Nacional de Colombia für ihre umfassende Unterstützung und allen Personen und Institutionen in Bogotá, Leticia und Tabatinga für ihr Interesse an unseren Projekten und Plänen. Dem Lateinamerika-Institut danken die TeilnehmerInnen für die Unterstützung bei der Realisierung der Exkursion.
gez. Susanne Klengel/Marianne Braig