Contesting GM Crops in Argentina and Brazil
Brasilien und Argentinien sind der zweit- und drittgrößte weltweite Produzent gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Die zehnjährige Verzögerung zwischen der Umstellung der Mehrheit des Sojaanbaus auf GV-Soja in Argentinien (1999) und in Brasilien (2009) geht auf Unterschiede in der sozialen Mobilisierung zurück. Meine Forschung befasst sich mit der Frage nach den Bedingungen, unter denen die Kritik sozialer Bewegungen die offizielle pro-GVO Politik veränderte, und den Bedingungen, welche dies verhinderten, als Erklärung für die unterschiedlichen Wege in Argentinien und Brasilien. Meine Forschung ist in den größeren Rahmen der Problematik der Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe an der Wandlung der Landwirtschaft eingebettet. Die Forschung hinterfragt nicht nur die Rolle nationaler politischer Kontexte, sondern verortet diese im Kontext des globalen Agrarkapitalismus. Der theoretische Rahmen stellt einen Dialog zwischen politischer Ökonomie und politischer Soziologie her, der durch den Fokus auf die Soziale Bewegungstheorie vermittelt wird. Er umfasst Struktur- und Akteur-zentrierte Erklärungsmuster, materielle und kulturelle Dimensionen, und einen Dialog zwischen Sozialer Bewegungsforschung und Agrarsoziologie. Die analytischen Faktoren werden in ein zusammenhängendes theoretisches Argument zusammengefasst, um einen Beitrag zur Erklärung unterschiedlicher Wege der sozialen Auseinandersetzung über GVO zu leisten. Diese werden in zwei idealtypischen Ergebnissen unterschieden: Eine Situation der Hegemonie oder der Kontroverse.
Die Forschung verwendet Methoden des makroanalytischen qualitativen Vergleiches und speziell das Forschungsdesign Most Similar Different Outcomes. Um die Änderungen in den Pfaden zu erklären, wird eine Zeitdimension hinzugefügt. Die empirische Forschung basiert auf 28 Tiefeninterviews mit den wichtigsten Aktivisten in den Jahren 2012 und 2013. Der Kern der empirischen Arbeit ist die Rekonstruktion von fast zwei Jahrzehnten der sozialen Mobilisierung zu GVO. Darauf basierend bietet meine Studie zentrale Erklärungen für die zwei unterschiedlichen Pfade durch die Identifizierung der drei wichtigsten analytischen Faktoren. Diese werden in einem Erklärungsmodell folgendermaßen artikuliert: Die frühe soziale Mobilisierung – basierend auf mobilisierenden Strukturen und umstrittenen Deutungsmustern – ist eine notwendige Voraussetzung der Beteiligung in der Politikgestaltung; aber das ist nicht hinreichend, da es von einer dritten Bedingung abhängt, einer günstigen Struktur politischer Gelegenheiten. Letztere wird wiederum beeinflusst durch die nationale politische Ökonomie und die strukturelle Position dieser Länder in Global commodity chains (GCC). Aktivisten in produzierenden Ländern stehen vor härteren Herausforderungen, da Commodities wichtige Quellen der privaten und staatlichen Einnahmen sind. Die arme Landbevölkerung ist den sozio-ökologischen Belastungen großteils ausgesetzt, was deren Mobilisierung auslöst, wenn mobilisierende Strukturen und Deutungsmuster vorhanden sind. Schließlich trägt die Wahrnehmung, dass die Entscheidungsfindung bei der nationalen Politik liegt, zur Mobilisierung bei, während die Wahrnehmung, dass die Politik durch globale Marktdynamiken bestimmt wird, demobilisierend wirkt.
Die Dissertation vertritt das Argument, dass die Transformation Argentiniens und Brasiliens zu den weltweit größten GVO Produzenten nicht durch biotechnologische Errungenschaften erklärt werden kann, sondern durch politische Kämpfe. In diesen wurden die sozialen Bewegungen und die arme Landbevölkerung durch die Netzwerke von pro-GVO Akteuren zum Schweigen gebracht, ignoriert oder demobilisiert. Das Argument unterstreicht die Relevanz der Untersuchung der politischen Kämpfe um GVO aus einem empirischen und einem theoretischen Grund. Die Entschlüsselung der komplexen Geschichte der Dominanz von GVO in beiden Ländern, welche als Kornkammer der Welt propagiert werden, leistet einen Beitrag zur größeren Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft und die Ernährungssicherheit. Zudem ist die GVO-Problematik beispielhaft für aktuelle Fragen, wie soziale Mobilisierung und Rechtsansprüche systemische Imperative des globalen Kapitalismus und der politischen Interessen infrage stellen können.
Kontakt: renata.motta@fu-berlin.de