Neue Kollaboration zwischen FFJ und MIMIMI Space #1: Brasilianische Feijoada - performatives und diskursives gemeinsames Essen
Ricardo de Paula trifft Sandra Bello, Karina Griffith, Iury Trojaborg und Renata Motta, mit Tänzer*innen von CLEANSE/NU.
News vom 27.11.2020
Die brasilianische Feijoada eröffnet die Reise des MIMIMI Space. Ricardo de Paula lädt seine Gäste zu einem Festmahl ein. Indem er Feijoada anbietet, ein umstrittenes Symbol der brasilianischen Nationalküche und Identität, bereitet Ricardo de Paula die Bühne (und den Tisch) für Diskussionen über die Spannungen hinter den Narrativen von Harmonie und der gewalttätigen Kultur und dem Alltag in Brasilien. Die Verständigung wird hier durch gemeinsame Anliegen in Bezug auf Antirassismus, Ernährungsgerechtigkeit und Körperpolitik aus einer feministischen und dekolonialen Perspektive geprägt. Renata Motta, Sandra Bello und Tänzerinnen von CLEANSE/NU geben künstlerische, wissenschaftliche und aktivistische Impulse für einen Austausch unter allen Anwesenden.
© Miro Wallner
Die brasilianische Feijoada wurde als Symbol für das Zusammentreffen verschiedener Völker, afrikanischer Sklaven, europäischer Kolonisatoren und amerikanischer Ureinwohner, und den daraus resultierenden kulturellen Reichtum Brasiliens konstruiert - die Herkunft von Ricardo de Paula und einem großen Teil des MIMIMI-Teams. Zweifellos ist die Feijoada ein Ergebnis des Austauschs von Völkern, Küchen und Feldfrüchten zwischen den Weltregionen im Laufe der Jahrhunderte. Aber wie jeder Mythos einer nationalen Identität erweist sich auch die Feijoada als ein umstrittenes Symbol, durchdrungen von Ungleichheiten, wer die Definitionsmacht hat. Innerhalb eines dominanten Diskurses über die brasilianische Identität, in dem rassistische Hierarchien heruntergespielt werden, kann die Konstruktion der Feijoada als Nationalgericht bei näherer Betrachtung als weißes Projekt verstanden werden, da das oft skizzierte Bild der harmonischen, multikulturellen brasilianischen Gesellschaft nicht ihrem strukturellen Rassismus entspricht. Solche nationalen Diskurse invisibilisieren subalterne Subjekte und Kulturen. Wie können wir die Feijoada dekolonisieren? Schwarze Bohnen, die Hauptzutat des Gerichts, sind seit jeher die rituelle Nahrung der Schwarzen, comida de santo. Afro-brasilianische Religionen, zusammen mit anderen Symbolen Schwarzer Kulturen und Erinnerungen, werden zunehmend von reaktionären Bewegungen im Land angegriffen. Der historische, strukturelle Rassismus gewinnt eine neue diskursive Dynamik und findet neue Subjekte, um ihn aufrechtzuerhalten. Die Feijoada als schwarzes Essen zurückzufordern und ihre Assoziation mit Mythen von nationalen, angeblich post-rassischen Identitäten abzulehnen, kann also auch eine antirassistische Haltung sein.
© Miro Wallner
Feijoada ist auch in postkoloniale Handelsbeziehungen und Ökologien verstrickt. Die Ausweitung des Sojaanbaus in Brasilien in den letzten Jahrzehnten für z.B. europäische und chinesische Tierhaltung hat Wälder verbrannt und den Anbau von Reis und Bohnen, die alltägliche Nahrung von Millionen von Brasilianer*innen, verdrängt. Lebensmittel wurden extrem teuer, besonders in Zeiten von Pandemien, und die Ernährungsunsicherheit stieg. Die aktuelle Lebensmittelpreiskrise in Brasilien hat strukturelle Wurzeln und wirft ein Licht auf die Frage: Wer kümmerte sich um die Bohnen und bewahrte sie auf? Während die Plantagenwirtschaft die ausländischen Rohstoffmärkte versorgte, waren Sklavengärten, von Frauen geführte Hausgärten, Kleinbauern und bäuerliche Familien für den eigentlichen Anbau von Nahrungsmitteln verantwortlich. Ein weiterer Schritt der Unsichtbarkeit ist der Zeitaufwand für die Zubereitung von Lebensmitteln, als Teil der Hausarbeit, die oft von schwarzen, armen Frauen geleistet wird. Der MIMIMI-Raum will Care-Beziehungen sichtbar machen und Feijoada bietet gute Denkanstöße dafür.
© Miro Wallner
Diese und andere Themen rund um die Feijoada werden diskutiert - in einem gemeinsamen Raum, der von allen Teilnehmer*innen Mut erfordert, die eigene Position zu hinterfragen. Dies ist kein sicherer Raum, sondern ein mutiger Raum, in dem es kein unhinterfragtes "Wir" gibt, aber dennoch verwirklicht der Gastgeber seinen utopischen Wunsch, Menschen zu versammeln, die bereit sind, gemeinsam zu essen und die Spannungen und Möglichkeiten des Aufbaus anderer Welten zu verdauen. Was essen wir, was haben wir zu verdauen und was wollen wir nicht mehr schlucken? Feijoada ist auch in anderer Hinsicht ein Programm: Mit seiner langen Zubereitungszeit ist es eine Mahlzeit, die für ein anderes Konzept steht als der heutige Trend zum Fast Food. Dies ist das Vorbild für die künstlerische Arbeit des Projekts. Den einzelnen Veranstaltungen geht meist eine jahrelange Auseinandersetzung der Teilnehmer mit den jeweiligen Themen voraus, hier kommen sie auf neue Weise zusammen.