Vorstellung ausgewählter Promotionsprojekte
News vom 10.10.2012
„Big Bang und babelbarroco: Sprache und Raum des neobarroco bei Haroldo de Campos“ (Jasmin Wrobel)
Die Idee zu dem Thema meines Promotionsvorhabens ist während eines sechswöchigen Forschungsaufenthaltes an der Universidade Federal do Rio de Janeiro im Februar und März 2011 entstanden. Nach einer Masterarbeit an der Ruhr-Universität Bochum zum Thema „Babel und das Labyrinth der Sprachen und Kulturen in der zeitgenössischen mexikanischen Literatur“ wurde ich auf das Werk des konkreten Dichters und Literaturtheoretikers Haroldo de Campos aufmerksam, insbesondere auf dessen Hauptwerk Galáxias. Dabei handelt es sich um fünfzig multilinguale Fragmente auf der Schwelle zwischen Prosa und Poesie, in denen ein Erzähler-Ich zwischen den Städten der Welt hin und herreist, wobei nicht nur die unterschiedlichen Sprachen miteinander in Dialog treten, sondern auch die verschiedenen Kulturen und historischen Ereignisse, die den jeweiligen Schauplatz geprägt haben.
In Anbetracht der Vielschichtigkeit der ›haroldianischen Galaxien‹ schien mir eine Konzentration auf das Babel-Motiv und die Multilingualität dem Text nicht gerecht zu werden. Vielmehr fiel mir auf, dass Galáxias in der Sekundärliteratur zwar häufig, aber ohne entsprechende Erörterung als ›neobarockes‹ Werk charakterisiert wird und es entstand die Idee zu einer entsprechenden theoretischen Auseinandersetzung mit dem Werk. Ein weiterer interessanter Text in diesem Kontext ist das ›kosmopoetische‹ Langgedicht A Máquina do Mundo Repensada, in dem Dantes Divina Commedia, Camões’ Os Lusíadas und Carlos Drummond de Andrades A Máquina do Mundo miteinander in Dialog treten. Wie der Titel bereits verrät, greift Campos hier das Motiv der Weltmaschine auf und verweist mittels einer kreativen Rezeption der genannten Werke auf verschiedene Modelle zur Erklärung von Welt und Universum, indem er vom ptolemäischen Weltbild über Galileo und Newton bis zur Big-Bang-Theorie voranschreitet.
Als Instrumentarium zur Textanalyse habe ich die ›kosmologische‹ Neobarock-Poetik des gut mit Haroldo de Campos bekannten kubanischen Autors Severo Sarduy gewählt, der in seinen Schriften von einer ›epistemologischen Solidarität‹ zwischen Kosmologie und Kunst ausgeht: Seinem Verständnis nach spiegeln die astronomischen bzw. kosmologischen Modelle das Wissen der jeweiligen Epoche wider, weshalb sich deren retombée auch und vor allem in Kunst und Literatur niederschlägt. Zwischen beiden Autoren bestehen zudem bemerkenswerte Parallelen, beispielsweise das große Interesse am asiatischen Kulturraum oder die Ablehnung des lateinamerikanischen ›Booms‹, dessen Vertretern beide Autoren, obwohl auch sie in den fünfziger bzw. sechziger Jahren beginnen zu schreiben, hinsichtlich ihrer Erzähltechniken und –strategien voraus sind.
An meinem Promotionsprojekt arbeite ich seit Oktober 2011 mit einem Stipendium der Stiftung für Lateinamerikanische Literatur der Freien Universität Berlin unter der Betreuung von Prof. Dr. Susanne Klengel und bin seit April 2012 assoziiertes Mitglied des Internationalen Graduiertenkollegs ›Entre Espacios/Zwischen Räumen‹.
Essays on Migrants’ Remittances and the Financial Sector (Dr. Christian Ambrosius)
Remittances - das Geld, das Migranten an Familienmitglieder in ihren Heimatländern schicken - sind nicht nur eine wichtige Einnahmensquelle für die Angehörigen. Sie stellen auch eine wichtige Devisenquelle für viele Entwicklungs- und Schwellenländer dar und betragen inzwischen mehr als doppelt so viel wie die gesamte offizielle Entwicklungshilfe. Kein Wunder also, dass die Frage nach den Wirkungen dieser Geldströme in den Empfängerländern nicht nur praktisch alle wichtigen internationalen Institutionen wie Weltbank, UNO und IWF intensiv beschäftigt, sondern auch mich während der vergangenen Jahre umgetrieben hat.
Der theoretische Ausgangspunkt meiner Doktorarbeit ist die New Economics of Labor Migration (NELM). Eine ihrer Kernaussagen ist, dass Remittances als zusätzliches, relativ stabiles Einkommen von außerhalb der lokalen Ökonomie eine wichtige Rolle dabei spielen, Familienmitglieder in den Heimatländern ökonomisch abzusichern. Der Beitrag meiner Forschung liegt darin, die Ideen der NELM mit anderen entwicklungsökonomischen Forschungssträngen zusammenzubringen, die ebenfalls danach fragen, welche Strategien Haushalte entwickeln, um sich gegen negative Ereignisse (Krankheiten, Ernteausfälle, Naturkatastrophen, etc.) abzusichern. Neuere Forschungen haben gezeigt, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen ganz unterschiedliche Strategien und Instrumente kombinieren, um solche Ereignisse (in der ökonomischen Literatur "Shocks" genannt) zu bewältigen. Anders als in Westeuropa sind das in den wenigsten Fällen formelle Versicherungssysteme, sondern z.B. familiäre oder nachbarschaftliche soziale Netzwerke, oder auch informelle Finanzsysteme jenseits des traditionellen Bankensektors.
Konkret habe ich in meiner Arbeit am Beispiel Mexikos untersucht, wie sich Remittances zu inkompletten oder rudimentären Finanzinstitutionen in den Empfängerländern verhalten. Die Antwort fällt gemischt aus. Da sowohl Finanzdienstleistungen als auch Migration und Remittances als "Asset-Building" und Risikomanagement-Strategien von Haushalten verstanden werden können, fungieren Remittances in einigen Fällen als Ersatz für Finanzdienstleistungen, z.B. wenn Geldsendungen von Verwandten in den USA eine alternative, von außerhalb des lokalen Haushaltes kommende, Finanzierungsquelle darstellen, und so dazu beitragen, Liquiditätsengpässe angesichts negativer Schocks zu überbrücken - ähnlich zu den von Finanzinstitutionen angebotenen Krediten oder Versicherungs-produkten. In anderen Fällen ergänzen sich Remittances und Finanzdienstleistungen, z.B. wenn Finanzinstitutionen eine Möglichkeit bieten, Remittances monetär zu sparen, oder wenn Remittances als Haftungseinlage für die Vergabe von Krediten akzeptiert werden.
Im Graduiertenkolleg "Zwischen Räumen" konnte ich von der Ko-Betreuung in Mexiko - dem Partnerland des Graduiertenkollegs - profitieren und habe die oft überraschenden Parallelen zur Arbeit anderer Kollegiaten, die aus häufig ganz andern Perspektiven ebenfalls an solchen "Zwischenräumen" oder "Bruchstellen" der Globalisierung arbeiten, als außerordentlich bereichernd empfunden.