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Schöpfungsgeschichte

Das gesamte System der andinen Welt wird aus einer „Schöpfungsgeschichte“ abgeleitet. Diese „Schöpfungsgeschichte“ kann als ein „Stammbaum“ der Welt gesehen werden. Die aus der Verbindung zwischen zwei androgynen Wesen ungleichen Ranges entstehende Genealogie bewahrt in ab­nehmender Intensität die Eigenschaften der Ursprungswesen, wobei jedoch die Intensität ihrer Wirkungskräfte in der Folge der Generationen abnimmt. Die Genealogie mündet in eine Erklärung der Sinnhaftigkeit der die Hersteller und Be­trachter der Bilder umgebenden sozialen und physischen Welt.

Eines der ursprünglichen androgynen Wesen ist einer Tag-Himmelswelt zugeordnet, das andere einer  Nacht-Unter­welt. Die prokreative Verbindung zwischen ihnen und ihren Nachkommen kann auf unter­schiedliche Art ge­schehen: durch Verschlingen, durch Einverleibung, durch geschlechtliche Akte. Die ursprüngliche Verbindung zwischen beiden bringt gottähnliche mächtige Wesen hervor. Diese ordnen sich in zwei gegensätzlich gedachte Kategorien, die mit Männlichkeit und Weiblichkeit, mit Taghimmel und Nachthimmel, mit Trockenheit und Feuchtigkeit, mit Totenwelt und Welt der Lebenden, überirdisch und unterirdisch angeordnet gedacht werden. 

Das Verhältnis zwischen beiden Kategorien wird, wie weiter oben ausgeführt, geschlechtlich und prokreativ verstanden. Beide Katego­rien werden komplementären Raum- und Zeitkategorien zugeordnet. Sie dienen als grundsätzliches binäres Schema zur Klassifika­tion der bestehenden Welt, des Raumes und der Zeit, die als aus der fortgesetzten Nachkommenschaft der ursprüngli­chen Wesenheiten entstehende verstanden werden.

Zwischen den gegensätzlich gedachten Kategorien gibt es eine Trenn- und Kontaktkategorie, bei der die Gegensätze aufeinander treffen. Das Aufeinandertreffen eines Interface (tinku) in diesem Raum oder dieser Zeit wird als potenziell prokreativ verstanden. 

Angestrebt ist ein Gleichgewicht zwischen den Gegensät­zen und deren regelhafte Verbindung, denn aus dieser entstehen Wachstum und Zukunft. Entstehendes Ungleichge­wicht zwischen den Gegensätzen wird als unheilvoll verstanden. Daher zielt das Handeln der Akteure auf die Wiederher­stellung des Gleichgewichtes.

 

JG