Altartuch: andine Textilkunst begegnet sakraler Kunst
Peru, vermutlich Cusco, spätes 17. oder frühes 18. Jahrhundert, Gewebe, L. 68,5 cm, B. 48,2 cm. Sammlung Konietzko, V A 64827 (© Ethnologisches Museum Berlin)
Das Altartuch, das vermutlich aus Cusco des späten 17. oder frühen 18. Jahrhunderts stammt, zeigt christlich-europäische Gestaltungselemente. Das zentrale Symbol, das Kreuz, die Papageien, Schafe oder Lamas und Blüten sowie die Farben weiß, rot und blau sind in der vorspanischen Kultur und Religion ebenfalls tief verwurzelt.
Das Altartuch hat einen roten Hintergrund und einen blauen Rand mit weißen Blütenmustern verziert.
Das Symbol unter dem Kreuz ähnelt einem weit auseinander gezogenen "M". Dies konnte man als zwei Berge (apu) interpretieren. Unter jedem dieser "Berge" findet sich ein Symbol, das einem liegenden "S" ähnelt. Die Kurve der Linien könnte man mit Bewegung assoziieren und als Symbol für den Übergang zwischen der oberen und der unteren Welt interpretieren.
Die von den Spaniern sehr geschätzten cumbi-Textilien wurden in der Kolonialzeit insbesondere in Kirchenräumen gebraucht. Dieser Interpretationsspielraum, in dem Bilder der christlichen Religion mit Aspekten der andinen Kulturen verbunden werden, wurde von den indigenen Künstlern gewünscht.
Textilien sind stark an Rituale gebunden. Dies gehört zu den schon erwähnten wichtigen Funktionen der Textilien im Alltagsleben der Bewohner andiner Regionen. Sie dienten z. B. zur Festigung der Beziehungen und sozialen Bindungen (durch Austausch oder als Genschenke). Mit Hilfe von Textilien konnte auch mit den Vorfahren kommuniziert werden; sie spielten aus diesem Grund eine zentrale Rolle in Ritualen.
Rituale, in denen ein solches Altartuch möglicherweise verwendet wurde, lassen sich als hybride Rituale interpretieren ; außerdem ist das Textil ein Beispiel von religiösem Synkretismus.
Liliana Bordet