Textilproduktion
Bei einer Reise durch Mexiko gilt besonders Oaxaca, einer der 31 mexikanischen Bundesstaaten, als Anziehungspunkt für Touristen.
Im Hochtal Oaxacas liegt die Stadt Teotitlán del Valle. Diese stellt seit über 2000 Jahren ein bedeutendes Zentrum zapotekischer Kultur dar und wurde besonders durch seine Webkunst bekannt. Ein Großteil der Einwohner produziert oder handelt mit Textilien, wobei der hohe Anteil an Frauen unter den Webern auffällig ist. Es handelt sich um eine traditionelle, doch gleichzeitig moderne Gemeinde, mit einer boomenden Exportproduktion.
Schon 500 v.Ch. fertigten die zapotekischen Weber von Teotitlán Textilien zum Eigengebrauch und vielleicht auch schon für den Handel an. Als die Azteken einige hundert Jahre später weite Teile des heutigen Mexiko beherrschten, wurden die Textilien als Tributzahlungen verwendet. Auch die Spanier, die im frühen 16. Jahrhundert in Mexiko eintrafen und es kurz darauf eroberten, erkannten das wirtschaftliche Potential von Teotitlán. Sie ließen die zapotekischen Weber daher in Textilmanufakturen, den sogenannten obrajes, Stoffe für die spanischen Kolonien herstellen. Um die Produktion steigern zu können, führten die Spanier den festen Webstuhl ein. Dadurch konnten die Weber schneller arbeiten, größere Mengen an Textilien produzieren und neben Baumwolle auch Wolle verarbeiten, die ebenfalls von den Spaniern eingeführt worden war.
In den frühen 1900er Jahren begann sich die Textilindustrie zunehmend zu mechanisieren. Während in den obrajes lokale Arbeitskräfte angestellt waren, arbeiteten in den Textilfabriken des frühen 20. Jahrhunderts Lohnarbeiter, die in benachbarten Städten wohnten. Die ersten automatischen Webmaschinen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut und von den USA nach Mexiko exportiert. Nach der Mechanisierung erweiterten viele Fabriken ihre Produktvielfalt, mit dem Ziel, einen größeren Verbraucherstamm erreichen zu können. Von den 1920er bis in die 1940er Jahre wurden Baumwolle und Wolle für den mexikanischen Markt verarbeitet. Während des 2. Weltkrieges, als die Produktionen vielerorts eingestellt wurden, begann Mexiko, beide Rohstoffe in hohem Maße insbesondere in das restliche Lateinamerika zu exportieren.
In den späten 1950er Jahren wurde die Produktion von Synthetikfasern in Mexiko eingeführt und dominierte bis in die 70er Jahre den einheimischen Textilmarkt. Da handgefertigte Naturstoffe im Vergleich zu den Polyesterprodukten aus den Fabriken zu teuer waren, konnten die traditionellen Wollproduzenten ihre Ware nur noch in geringem Maße auf den nationalen Märkten verkaufen und somit ihren Lebensunterhalt nicht mehr sichern. Ein neuer Absatzmarkt war also notwendig. Als der mexikanische Staat daher damit begann, indigenes Handwerk zu fördern, wechselten auch die zapotekischen Webereien von der Produktion von Gebrauchsgütern für den regionalen Gebrauch zur Herstellung von Kunsthandwerk für Touristen und Exportmärkte. Der industrielle Aufschwung von Mexiko-Stadt in den 1950er Jahren brachte viele Weber dazu, in die Hauptstadt zu ziehen, wo sie bessere Löhne erhofften. Viele Weber in Teotitlán blieben jedoch ihren Traditionen vor Ort verbunden. Da andere Arbeitsmöglichkeiten fehlten, spezialisierten sich auch viele junge Menschen auf die traditionelle Handwerkskunst.
Der Bau der Pan Americana im Jahr 1948 brachte einen erneuten Aufschwung und ermöglichte den Teotitecos eine schnellere Anbindung an die Stadt Oaxaca mit ihren großen Märkten. Die neu entstandene Schnellstrasse zog auch viele Touristen nach Teotitlán selbst, die die traditionelle Webproduktion vor Ort betrachten wollten.
Um die Nachfrage der Touristen nach indigenem Kunsthandwerk zu befriedigen, begannen die Weber, besonders "indianische" Textilien zu produzieren. Im Zeitalter der Industrialisierung galten handgefertigte exotische Produkte als besonders wertvoll innerhalb der mexikanischen und US-amerikanischen Oberschicht. Auf der anderen Seite verstanden jedoch viele Mexikaner der unteren Schichten Kunstfasertextilien und Kunststoffobjekte als Synonym für die moderne neue Welt und gaben diesen vor den lokal handgefertigten Produkten den Vorzug.
In Teotitlán bestand eine Webwerkstatt in erster Linie aus unmittelbaren Familienmitgliedern. Mitte der 1980er Jahre fand ein bedeutender wirtschaftlicher Boom im Hochtal Mexikos statt. Einige Familien und Händler engagierten daher zusätzliche Arbeiter, meist basierend auf Verwandtschafts- oder compadrazgo-Beziehungen. Oftmals wurden auch Arbeiter aus anderen Städten engagiert, um große Mengen an Textilien für den US-Markt zu fertigen. Das hob den Lebensstandard in Teotitlán, wie auch in den benachbarten Städten wie Santa Ana und San Miguel, erheblich an. Heute zählt Teotitlán daher zu den florierendsten Zentren Oaxacas.
Peggy Goede