Luys Guamantitu Yupangi Chiguan Topa
Die ersten kolonialen Bilder von Inkaherrschern gab der Vizekönig Perus, Francisco de Toledo, im Jahre 1571 in Auftrag und sandte sie zusammen mit einer Chronik der inkaischen Geschichte zum König von Spanien. Die andinen kurakas folgten anschließend der europäischen Tradition und ließen sich ebenfalls porträtieren. Die Aufträge zur Anfertigung der Gemälde fanden meist mündlich statt und die Künstler, überwiegend indigener Abstammung, konnten sich in Bezug auf die Repräsentationen, zumindest seit dem 18. Jahrhundert, relativ frei entfalten.
Die wohl bekannteste Serie von kuraka-Porträts stellt die Familie der Chiguan Topa dar. Die zwölf Gemälde dieser Dynastie entstanden im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts, initiiert durch Marcos Chiguan Topa, dem kuraka von Guayllabamba. Dieser berief sich auf seine Abstammung von dem dritten Inka Lloque Yupanqui, ebenso wie auf seine Verwandtschaft mit den ersten christianisierten Indigenen, die sich mit den Spaniern verbündet hatten.
Ein Gemälde, das stark an das Porträt des Marcos Chiguan Topa erinnert, befindet sich heute im Niedersäsischen Landesmuseum Hannover. Die ausführliche Inschrift auf dem Gemälde gibt Auskunft über den dargestellten Luys Guamantitu Yupanqui Chiguan Topa. Dieser war kazike der Provinz Paucartambo, Träger diverser kolonialer Ehrentitel und Absolvent der Jesuitenschule San Francisco de Borja.
Don Luys wird, wie es für kolonialzeitliche Porträts üblich ist, in einem Innenraum gezeigt, der an ein höfisches Umfeld erinnern soll. Der kuraka, wohl ein jüngerer Verwandter von Marcos, ist von einer Kombination sowohl indigener als auch spanischer Machtsymbole umgeben. Eine solche Dualität schien unumgänglich für eine indigene Oberschicht zu sein, die ihr öffentliches Bild kreieren musste, um ihre Stellung in der kolonialen Gesellschaft zu festigen, indem sie europäische Adelskonzepte übernahm.
Luys stellt sich hier in seiner Rolle als königlicher Standartenträger, als alférez real, dar, ein Ehrenamt, das seit der Mitte des 16. Jahrhunderts an die indigene Oberschicht Cuzcos vergeben wurde. Ein scheinbarer Widerspruch entsteht durch die spanische Kleidung, die nicht der wachsenden indigenen Selbstdarstellung des renacimiento inca entspricht. In höfischer dunkler Tracht des 17. Jahrhunderts gewandet, trägt Luys quer über seiner Brust eine doppelreihige Goldkette, die an den schweren Schmuck spanischer Adliger erinnert. Um den Hals trägt der kuraka die Medaille der „Unbefleckten Empfängnis", der Maria Inmaculata, ein Kult, der von den Jesuiten, die Luys unterrichtet hatten, propagiert wurde. Die Goldkette, die den Anhänger hält, erinnert dabei an das Goldband um das königliche Wappen auf der Standarte in seiner rechten Hand. Um den höfischen Luxus zu unterstreichen, verwendete der anonyme indigene Künstler Goldbrokat, eine zu der Zeit in Cuzco weit verbreitete Technik.
Trotz der vielen spanischen Elemente weist das Gemälde den Dargestellten deutlich als Indigenen aus. Luys zeigt dunkle Gesichtszüge und trägt schulterlanges, glattes dunkles Haar. Weiterhin wird sein Kopf von einer kolonialen Form der mascaypacha geziert, einem Kopfschmuck, der einst den Inkaherrscher und lokale kaziken kennzeichnete und von den Spaniern mit einer Krone gleichgesetzt wurde. Auffällig sind die unbekleideten Unterschenkel und Füße von Don Luys, die einen starken Kontrast zur spanischen Tracht bilden. Im rechten Bildhintergrund sehen wir das Wappen der Familie Chiguan Topa, wie es auch bei anderen Gemälden dieser Dynastie zu sehen ist. Deutlich ist hierbei die rote mascaypacha zu erkennen, die den Herrscheranspruch der Familie unterstreicht.
Der durchweg künstliche Charakter der Repräsentation des kurakas erscheint wie eine komplette symbolische Rekonstruktion eines Mitglieds der indigenen Oberschicht, wie sie in der Kolonialzeit durchaus üblich und auch notwendig war.
Peggy Goede